Bad Practice Deutsche Bahn: Was wir aus der misslungenen Social Media Kampagne Chefticket lernen können
Nach meinem kurzen, spontanen Kommentar gestern nun eine etwas ausführlichere Analyse zum neuen Facebook Auftritt „Chefticket“ der Deutschen Bahn. Hier soll das „Chefticket“ beworben werden, mit dem man für 25€ deutschlandweit reisen kann.
1) Strategie
Gab es eine? Den Verantwortlichen hätte klar sein müssen daß bei der aktuellen Stimmungslage (Stuttgart 21, Pannensommer, …) ein Social Media Engagement unmittelbar zu einem öffentlichen „Meckerkasten“ wird. Wie ich aus internen Qellen weiß gab es Stellen denen dies bewusst war, und aus diesem Grund gab es bisher auch noch keinen offiziellen Facebook Account der Deutschen Bahn. Und dann mit einer Verkaufsaktion – auch noch im Stil einer klassischen Kampagne – zu starten läßt Zweifel aufkommen daß hier eine durchdachte Strategie entwickelt wurde welche die Social Media Besonderheiten angemessen berücksichtigt. Der richtige Ansatz wäre gewesen erst einen „normalen“ Auftritt der DB zu etablieren wo sich der erste Unmut entladen kann und zukünftigen Beschwerden – aber auch einfache Fragen – kanalisiert werden können. Erst im zweiten Schritt macht dann ein Kampagnenprofil Sinn.
2) Konzept
Auch hier gab es schwere Fehler. Gerade weil es kein anderes offizielles DB Profil gab war es fahrlässig für das Kampagnen-Profil den Namen Deutsche Bahn zu verwenden. Und es ist auch unlogisch daß dann die Vanity-URL www.facebook.com/chefticket heißt, also anders als der Profilname. Die Inkonsistenz setzt sich bei der Graphik links fort: Hier ist nicht das Bild vom Chef zu sehen, sondern ein ICE und weiter unten eine Fahrkarte.
Dann wurden wohl zu wenig Ressourcen bereitgestellt, keine PR-Verantwortlichen zur Seite gestellt und / oder keine Kommunikations-Guidelines festgelegt. Nur so läßt sich erklären dass auf manche Posts sehr spät oder gar nicht reagiert wurde. Anfangs wurde nur auf Fragen geantwortet die mit dem Ticket zu tun haben. Es scheint wohl nicht mit kritischen Kommentaren und allgemeinen Fragen gerechnet worden zu sein (-> siehe Strategie). Der PR-Gau war dann folgender Fall:
Fehler hier: Es gab zahlreiche Posts zum Fall Davina S. und die Bahn hat hier lange nicht reagiert.
Fraglich ist in dem Zusammenhang auch ob es eine konzernübergreifende Koordination gibt und ob es eine Info an die Mitarbeiter gegeben hat -> Die Nummer mit dem Plakatverbot zeugt nicht gerade davon daß die Mitarbeiter sensibilisiert wurden.
Was der Spot in dem gesamten Kontext zu suchen hat wissen die „kreativen“ Macher alleine, ich finde er reit sich nahtlos in die Fehlerliste ein. Zum einen paßt er überhaupt nicht zur Bahn, und warum sollte ausgerechnet der Chef das Ticket billig kaufen? Was soll der Claim „Wer früher ankommt bekommt mehr mit“ – Hatte der Zug Verspätung? (Das Auto war ja nicht zu sehen…) Inkonsistent hoch 2. VOLKS-TICKET oder SocialTicket wäre 100x passender gewesen. Ob man dann auch noch das Spiel braucht – darüber kann man sicher streiten…
3) Umsetzung
Hier kann man zur Abwechslung mal etwas positives sagen: Handwerklich gut gemacht. Auch daß es kurz nach dem Start bereits über 10.000 Fans gibt ist ein Erfolg.
4) Wie man die Kiste noch retten kann
Vielleicht kann man den PR Super-Gau noch abwenden wenn man jetzt schell reagiert. Zuerst mehr Ressouren bereitstellen, insbesondere PR-Profis die autorisiert sind Statements im Namen der Bahn abzugeben, und dann zügig ALLE Fragen beantworten und auf solche Nummern wie die Plakatsache schnell reagieren. Ein Anfang wurde gemacht:
Als nächstes den Namen in „Chefticket“ umändern und die Graphik anpassen. Eigentlich müßte man auch den dämlichen Spot runternehmen – nur dann versteht man den Namen wahrscheinlich noch weniger.
Als drittes ein Unternehmensprofil „Deutsche Bahn“ anlegen. Und hier ordentlich Ressourcen mit kurzem Draht zum Management und zur Presse-Abteilung bereitstellen!
Was ist Eure Meinung zu dem Fall? Freue mich über Eure Kommentare im Blog oder auf Facebook.
Nachtrag 13.11.10: Die Bahn hat die Kampagne beendet, stand heute 52.741 Fans, was beachtlich ist. Sie kündigt einen „normalen“ Auftritt für 2011 an, was ich gut gemacht finde und die ganze Sache zumindest noch ein wenig rettet:
„Wie hat’s gefallen?
Die Pause bis zum nächsten Mal möchten wir nutzen, um von Ihnen zu erfahren, wie Ihnen das Chef-Ticket gefallen hat und was sich unsere Facebook-Freunde für die Zukunft wünschen. Ihre Meinung können Sie unter dem Reiter „Umfrage“ abgeben. Also – mitmachen, dranbleiben und bis bald.
P. S. Wir arbeiten intensiv an einem umfassenden Social-Media-Dialogangebot, das 2011 an den Start gehen soll.

Oktober 21st, 2010
Topic: Artikel, News Tags: PR, Social Media, Social Media Marketing
Oktober 21st, 2010 at 07:33
Die deutsche Bahn trägt seit eh und je den Stempel „Mieser Service, andauernde Verspätungen & veraltete / defekte Technik.“ auf der Stirn. Auch die beste SM Strategie hätte in meinen Augen zu einem Meckerboard geführt. Wahrscheinlich ist der einzig gangbare Weg, den Kunden eine Plattform für Fragen und Probleme zur Verfügung zu stellen – nur sollte dies auch der Fokus des Channels sein.
Als wirkliche Verkaufsplattform sehe ich persönlich Facebook nicht für die DB.
Oktober 21st, 2010 at 13:39
Es ist keine Social Media Kampagne.
Es ist Facebook als Vertriebskanal
und ein „Viral“ das nicht unique oder lustig genug
ist um ein Viral zu sein.
Mutig für die DB, sure. Aber nicht lustig genug für Menschen.
Somit ist dein Anwurf sachlich falsch und künstliche Aufregung.
Aber Du betitelst das hier ja auch Online-marketing-podcast.
🙂 Merk´se selbst, ne?
Oktober 21st, 2010 at 15:22
@ WR : In den Kritikpunkten sind wir uns ja einig… In der Tat gehe ich von der Hypothese aus daß es sich um eine Social Media Kampagne handeln soll da es so typisch auf Facbook inszeniert war. Aber vielleicht hast Du recht und es wurde als reine Verkaufsaktion aufgezogen – dabei wurden dann aber die möglichen „Nebenwirkungen“ einer Social Media Plattform nicht berücksichtigt.
Oktober 21st, 2010 at 21:39
Auch wenn FB hier nur als (Test?)Vertriebskanal dient und die Aktion so unfähig wie so vieles bei der DB daherkommt: mit der „Rettungsaktion“ stimme ich überein. Dass da jemand sitzt und im Namen der Bahn mit den Kunden kommuniziert sehe ich als den eigentlich Wert der Aktion an. Da kann die Bahn jetzt vieles aufholen was sie in der Vergangenheit verschlafen hat.
Oktober 25th, 2010 at 10:37
Hier als Ergänzung ein aktueller Bericht vom ZDF dazu: http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/24/0,3672,8122136,00.html
November 14th, 2010 at 12:02
[…] Facebook Chefticket Kampagne der Deutsche Bahn […]